Die Beschreibung eines Reischdorfer's
....ein Einblick in das Leben der Gebirgsbewohner
ein typischer Reischdorfer genannt der “Hannes”
Bei Gelegenheit eines Ausfluges nach dem Reischberge lernt Einer auch die Heimat der Reischdorfer kennen, ob aber diese selbst, das ist die Frage.......
so beginnt eine Passage im Buch: entnommen dem Buch “Unterhaltung am häuslichen Herd” Band 2 (Abschrift)
Möglich, daß ihm, wenn er das Dorf entlang geht, hin und wieder ein altes Männlein, eine Hausmutter oder ein Glied des jüngsten Anwuchses begegnet: von dem Kerne der Bevölkerung wird er wenig gewahr werden. Denn wo bliebe ein Reischdorfer daheim, sobald er fähig ist, eine volle Bütte über den Reischberg, sei es auch nur bis Jöhstadt, zu tragen? Ebenso wenig, wie du in Preßnitz zur Sommerzeit ein Harfenmädchen findest, darfst du in dieser Zeit einen erwerbsfähigen Reischdorfer daheim suchen. Wie nahe sich da die Gegensätze berühren! Das kaum eine Viertelstunde entfernte Preßnitz hat sich fast ausschließlich dem Dienste der Musen gewidmet, Polyhymnia hat da ihren Thron aufgeschlagen – die Reischdorfer sorgen nur für die Bedürfnisse des Magens. Während Preßnitz zahllose Musikantentruppen in alle Gegenden der Windrose entsendet, läßt Reischdorf eine Unzahl mobile Corps von Gemüse- und Obsthändlern in das benachbarte Sachsen ziehen, um das darbende Gebirge von dem Ueberflusse Böhmens zu versorgen. Kaum ist der “Bub” - gewöhnlich “Hannes” geheißen – flämmig genut, eine mit Gemüse oder Obst belastete Bütte von Saaz oder Kaaden herauszutragen, so erhält er vom Vater seine Ausrüstung: eine Bütte, ein paar Gulden Zwanziger und – eine Tabackspfeife von der Gattung Stummel, denn die Pfeife darf keinem “Hannes” fehlen, die ist das Attribut seiner Würde, die macht ihn zum freien, selbständigen Mitgliede der großen Reischdorfer Handelscompagnie.Die große britisch-ostindische Compagnie mag ganz andere Prätensionen machen als die Reischdorfer Büttensocietät, sie mag Europa mit den Schätzen Indiens versehen und den Indiern dafür mit dem Danke von des Teufels Muhme lohnen, mag Könige ab- und einsetzen, die Reischdorfer Handelsgesellschaft ist in ihrer Art nicht minder ehrenwerth, nicht weniger wohltätig als ihre mächtige Genossin in Alt-England; denn sie ist der Trost der armen gebirgischen Hausfrau, der die Reischdorfer ihren Bedarf an Küchengewächsen in das Haus liefern. Wenn auf dem Gebirge der Schnee noch fußtief liegt und sich noch kein Grasspitzchen weit umher zeigt, kommt der “Hannes” schon mit seiner Bütte voll grüner Petersilie, welcher bald der fette Kopfsalat und die rosigen Radieschen nachfolgen; kaum haben im Gebirge die paar Dutzend Kirschbäume geblüht, so ist er schon mit reifen Kirschen da, und wenn Weihnachten die gute Mutter für die lieben Kinder die Christgaben einkauft, so hilft ihr der “Hannes” mit seinen Aepfeln und Nüssen aus – kurz: von Allem, was das glückliche Böhmen zu irgend einer Zeit an nützlichen Gewächsen erzeugt, das bringt “Hannes” von Reischdorf in seiner sächsischen Handelsprovinz auf den Markt oder ins Hans. Ist das nicht eine höchst rühmliche Handelsthätigkeit? Und um so höher wird man diese anschlagen müssen, wenn man den Reischberg gesehen und und bedenkt, was für ein saurer Bissen Brot es doch ist, die schwere Bütte eine Tag um den anderen da heraus- und dann noch drei bis sechs Stunden weit über Berg und Thal zu schleppen und dabei wenig mehr zu genießen als ein Stück trockenes Brot mit einer Birne, ein paar Zwetschen oder etwas Käse. Er könnte freilich etwas besser leben, könnte dann und wann ein Glas Bier trinken, ein Stückchen Wurst zu seinem Brote oder etwas Warmes genießen; aber der “Hannes” denkt au die Zukunft, er speculiert weiter, er will nicht immer “Büttenbub” bleiben, er will isch einmal einen Gaul halten, wol gar zwei und dann seinen Handelsgeist im Großen bethätigen. Denn es ist in der Regel – ausgenommen bei den Frauen – nur die jüngere Generation, welche sich in der beschriebenen Art nähert, die erwachsenen Männer vertauschen die Bütte mit dem Wagen, oder sie wechseln den Gegenstand ihrer Handelsthätigkeit: Sie werden entweder Getreide-, Flachs- oder Bettfedernhändler, Landfuhrleute, Roßkämme und dergleichen.
Wer dem Vereine gegen Thierquälerei, ausdrücklich oder stillschweigend, angehört, möchte freilich wünschen, der “hannes” bliebe zeitlebns Büttenmensch, denn von dem Augenblicke an, da er den Inhalt der Bütte in vervielfachter Quantität einem Gaule anvertraut, wird er ein Erzthierquäler oder vielmehr der Reischberg wird`s. Ein Reischdorfer Gaul ist das bejammernswertheste Geschöpf unter der Sonne – wie Lima der Himmel der Frauen, so ist Reischdorf die Hölle der Pferde. Es ist sehr zu bedauern, aber es darf nicht sehr befremden, wenn der “Hannes”, nachdem er sich selbst von früher Jugend auf weidlich “geschunden” hat, sein Thier nicht zärtlicher hält als er gehalten wurde. Als vierzehnjähriger oder noch jüngerer Knabe wurde er mit seiner Bütte in die Welt hinausgestoßen, sein Brot auf das mühsamste zu verdienen – bei glühendem Sonnenbrand wie bei erstarrendem Winterfrost, bei Sturm, Schnee und Regen mußte er seine schwere Bütte den Reischberg hinauftragen, die Höhen von Jöhstadt und Annaberg übersteigen – es half ihm Niemand, er mußte fort und immer von neuem wieder hin und her – so trieb er es vielleicht zehn Jahre lang und darüber verfloß seine schöne Jugend, verstrich die zeit, wo das Herz sanftern Regungen offen ist, bis die harte Mühsal es abstumpfte, umkrustete – was Wunder, wenn er nun sein their mitleidslos über dieselben Berge treibt, über die er selbst ohne Erbarmen gejagt wurde? Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes – ein goldener, heiliger Spruch; aber es ist die Unbill des Lebens, welche in vielen, vielen Menschen das natürliche Rechtsgefühl erstickt und die Rechtsbegriffe verwirrt – rechten wir mit jener, ehe wir diese Verirrungen verdammen!
Derselbe “Hannes”, welcher in der Behandlung seines Gauls sich so wenig gerecht im höheren Sinne des Wortes erweist, ist der gerechteste Mensch im juridischen Sinne: das suum cuique wird vielleicht in keinem Orte der österreichischen Monarchie heiliger gehalten als in Reischdorf. Darum läßt sich der “Hannes” auch keine Unbill bieten. Du würdest ihm vergebens eine einzige Kirsche mehr abzudingen suchen, als er dir für einen gewissen Preis zugedacht hat; und wenn du nach abgeschlossenem Handel ihm einen Pfennig von der Zahlung abziehen wolltest, so würde er seine Waare wieder in die Bütte werfen und es darauf ankommen lassen, seine Last noch eine halbe Stunde weiter zu schleppen, ehe er in deine, nach seiner Ansicht unbillige Zumuthung willigte. Eine weitere Furcht seiner Lebensweise, die den “hannes” so viel mit den protestantischen Sachsen in Verbindung bringt, ist sein verhältnismäßiges Freisein von Aberglauben und Bigoterie. Er ist katholischer Christ und will nichts Anderes sein, schwerlich wird von ihm je eine religiöse Beweung ausgehen – aber die Gebräuche und Satzungen seiner Kirche binden ihn nur so weit, als es ihm eben bequem ist. Der Geistlichkeit oder selbst einem Heiligen eine Flasue vorzumachen, darauf kommt es ihm nicht an. Das muß sich wol der in Böhmen so hochverehrte Johannes von Nepumuk gefallen lassen, daß ein “Hannes” in der Noth ihm ein Belübde thut an dessen Erfüllung er hinterher gar nicht denkt. So fuhr einmal Einer dieses Namens in Begleitung seines Söhnchens den Reischberg hinauf mit einem so schwer belasteten Wagen, daß die ohnehin abgetriebenen Pferde ihn kaum ziehen konnten. Auf der Hälfte des Berges machten sie Halt und kein Schreien, kein Fluchen, kein Prügeln brachte sie von der Stelle. In seiner größten Noth fällt “Hannes” auf die Knie und fleht zu dem genannten Heiligen: “O hilf mir nur diesmal, heiliger Johannes! Wenn ich glücklich den Bern ´naus komme, verehr`ich dir eine Wachskerze, so lang und stark wie mein Bein” - “Was Vater!” fiel ihm der Sohn ins Wort - “wo denkt Ihr hin? Solch`mächtige Kerzen kost´t Geld!” “Ei dummer Bub`!”- erwiderte der Vater - “wenn wir nur den Bern ´naus sind, da soll er sehen was er kriegt, nur keine Kerzen”.
Wie sehr dem “Hannes” der Dienst seiner Kirche nur Gewohnheitssache ist, bei der er sich gar nichts oder doch ganz andere Dinge denkt, als um welche es sich handelt, mag folgende Anekdote anschaulich machen. Ein Reischdorfer Fuhrmann fährt, ebenfalls im Geleite eines männlichen Sprößlings, an einer Kapelle vorüber, worin ein Priester gerade Messe ließt. Da des Berges halber die Pferde nur langsam gehen können, so kann dem “Hannes” nicht gelegener sein, als hier en passant seine Andacht zu verrichten. Er gibt dem Sohne die Peitsche und eilt in die Kapelle, wo er am Altar zu Füßen des Geistlichen niederkniet, halblaut ein Vaterunser, den Englischen Gruß und ein Weggebetlein spricht, das mit den Worten schließt: Das walte Gott Vater, Gott Sohn und Heiliger Geist! Amen. - und steht auf. Der Priester, der die Lücke bemerkt hat, fragt ihn: “Lieber Mann, wo läßt Er denn den Sohn?” - “Den hab´ich bei den Pferden gelassen, Herr Pater!” antwortete der Mann, der nur noch an sein Geschäft dachte, und war fort.
“Zeit ist Geld” - diesen Grundsatz hat der betriebsame “Hannes” mit dem geschäftigen Bruder Jonathan gemein, ja so kostbar ist Ersterem die Zeit, daß er sich kaum eine Munute zum Essen günnt. Freilich heischt seine frugale Mahlzeit in der Regel gar keine Unterbrechung seines Geschäftes – der “Büttenbub” wenigstens verzehrt sein Mahl an seiner Bütte, wenn er Hunger und freie Hand hat. Wenn er der Bütte entwachsen ist und sein Gewerbe eine andere Verköstigungsweise erlaubt oder bedingt, so thut er das Geschäft des Essens mit der größten Eilfertigkeit ab. Ein Freund erzählte mir: “Nie hab´ich eine so dampfmaschinenartige Bewegung der Kinnladen gesehen, wei bei jenem Reischdorfer, der eines Sonntags in einem Gasthofe an der Annaberg-Chemnitzer Straße mit seinem Sohne sein Mittagsmahl einnahm. Dasselbe bestand in Kalbskeule mit Salat. Sowol dem Alten wie dem Jungen wurde eine beträchtliche Portion vorgesetzt. Eh´man sich dessen versah, war die Portion des Erstern verschwunden, der Sohn aber kaute fort an der seinigen, von der noch die Hälfte auf dem Teller lag. Das brachte den Alten außer sich. “Was ist das für ein Geleck”, fauler Bub!>schrie er den Knaben an, >ich will dir zeigen, wie man ißt!>Er spießte den Rest von der Portion des armen Jungen an seine Gabel und sagte, sie zum Munde führend: “Schau her! Ä Biß – ä Druck – und gescheh´n is” >Der Sohn sah dem verschwunden Braten mit thränenden Augen nach und wahrscheinlich hat diese drastische Anwendung der veranschaulichenden Unterrichtsmethode ihn bald so schnell essen gelehrt, als ein Vater es wünschte.”
Keine Regel ohne Ausnahme – und so gibt es wol auch hin und wieder einen “Hannes” der, statt des Wahlspruchs von Bruder Jonathan, des Gsels “Eile mit Weile!” sich erkor. Ein Solcher bleibt wol zeitlebns ein Büttenschlepper – er denkt nur an das Heute und läßt deas Morgen für sich selber sorgen. Ein so aus der Art geschlagener “Hannes” gehe dann auch nicht leicht an einem der Wirthshäuser vorüber, welche die Vorsehung an senen Weg gepflanzt hat. Ein Bierreis ist ihm ein “Arm des lieben Herrgotts”, dessen Winken er folgen muß. Da kommt es wol auch vor, daß der “Hannes” mehr verzehrt als er zahlen kann, und er macht sich nun den Credit, in welchem seine Heimatgenossen stehen, zu Nutz und läßt ankreiden. Einer dieser alten Büttenmenschen hatte unter anderen in dem letzten Wirthshause, das in seinem sächsichen Handelsgebiete auf dem Rückwege in die Heimat liegt, ein ziemliches Pöstchen ankreiden lassen. Eines Tags kehrte er wieder da ein, ließ sich seinen Hering und sein Glas Bier geben und genoß Beides mit herkömmlichen Appetite. Als er aber gewohntermaßen sich mit einem: “Schreib´Er`s nur an, Meister Andreas!” von dem Wirthe verabschieden wollte, erwiederte dieser unwillig: “ Er hat schon eine ganze Litanei von zechen dastehen, Hannes! Ich kann Ihm nicht mehr anschreiben!” “Nun, so merk´Er`s im Kopf, Meister Andreas!” rieth der gar nicht außer Fassung gebrachte Borger und segelte ab.
Es kann nicht fehlen, daß, wenn die Alten etwas Witz an den Tag leben, wie wir ihn aus ein paar Proben kennen gelernt haben, auch die Jungen aufgeweckte Gesiter sein müssen. Freilich ist es zunächst nur ihr Gewerbe, worauf sie ihr Dichten und Trachten richten und worin sie einen hervorstehenden Mutterwitz beurkunden. Originell erschien mir die Art und Weise, wie einst ein kleiner Reischdorfer die Kirschen, welche seine Mutter feil trug, an den Mann zu bringen suchte. Wir saßen unserer mehre in einem Gasthause, als ein Kanbe, den unvermeidlichen Stummel im Munde, herein- und dreist auf uns zu trat. “Meine Herren!” - redete er uns in seinem Jargon an - “jetzt wird´s gar nciht lange dauern, kommt meine Mutter mit Kirschen - ´s sind Extrakirschen, ganz große Herzkirschen – sie wird sie Ihnen zum Verkauf anbieten – sie wird acht Pfennige für das Maß verlangen - `s >Ihrige< Maß – darauf bieten Sie nur sechs – nun will sie doch ihr`Lebtag`nicht unter >sieben< verkafuen – da werd´ich aber schon beistehen und werd' ausbrechen – sie muß sie Ihnen dann für sechs Pfennige lasse.” Wir mußten über diese drollige captatio benevoientiae lachen und der Kleine hatte seinen Zweck erreicht: wir kauften der Alten ihren Kirschenvorrath ziemlich ab.
Ich habe oben gesagt, daß die Tabackspfeife zu der Ausrüstung des kleinen Reischdorfer Handelsmannes gehöre. Aber lange bevor er als solcher in die Welt eintritt, wird er systematisch zum Rauchen gebildet. Ich sah einmal ein ergötzliches Beispiel davon, wie sehr die Alten es sich angelegen sein lassen, die Jungen an den Genuß des narkotischen Krauts zu gewöhnen. Ich war mit zwei Freunden in einer Taberne am Fuße des Reischberges eingekehrt. Un gegenüber hatte ein greiser Reischdorfer mit seinem Enkel, einem hausbäckigen Buben von 9-10 Jahren, Platz genommen. Beide rauchten um die Wette und mit dem Ausdrucke des innigsten Entzückens hing das Gesicht des Alten an den schmauchenden Lippen des Jungen! Ich mußte unwillkürlich an den Vers des unter Studenten vohlbekannten Tabacksliedes denken, wo es heißt:
Der Bub' zum Rauchen noch nicht reif
Stiehlt seines Alten Tabackspfeif,
und freut sich sehr
An der Stadtmauer
Bei einer Pfeif' Taback -
Hier freilich freute sich der “zum Rauchen noch nicht reife Bub'” des sonst verpönten Genusses auf ganz legitimie Weise unter den Auspicien seines Großpapas. Einer meiner Begleiter fand darin doch eine schändliche Unsitte und konnte nicht umhin, sein Bedenken laut auszusprechen. Der “Bub” that, als hörte er es nciht, der Alte dagegen erwiderte: Was sagt der Herr? Der Bub' soll nicht rauchen? Der Taback schad' ihm? Der Herr mag einen Gänsdarm in den Mund nehmen, wenn ihm der Taback nichts nütz ist, aber einem rechten Bub'n schad't er nichts. Ich hab' von Kindesbeinen an geraucht und – schau der Herr mich an! Ich bin siebenzig Jahf' alt und denke noch mit den Knochen manches jungen Herrn, der keinen Taback raucht, Nüsse vom Baum werfen zu können.” Und zu dem Knaben gewendet, fuhr er fort: “Brav, Hannes, dampf' dem Herrn was vor! Du sollst auch noch eine Halbe Bier haben.” Um den Alten zu besänftigen, gaben wir ihm von unserem Taback, zugleich als Beweis, daß wir keineswegs Verächter des edlen Krauts wären; ja wir gaben ihm noch einen weitern Beweis, indem wir das erwähnte Tabackslied anstimmten. Und deises wirkte auf den Graukopf wie Oberon's Zauberhorn. Ein wahrer Freudenwirbel ergriff ihm; in dem Refrain des Liedes fiel er immer mit lautem Jachzen ein und zuletzt hüpft' und sprang er dazu, daß wir vor Lachen das Lied kaum zum Schlusse singen konnten. Als wir geendet hatten, schrie er: da capo! Und wir mochten wollen oder nicht, wir mußten ihm willfahren. “Büb'l!” sagte er zu seinem Enkel - “das Lied mußt du lernen, das erquickt's Herz – ach! Was hab' ich ä Freud' drüber!” Zuletzt suchte er uns noch den Nutzen des Tabackrauchens mit beredtem Munde einleuchtend zu machen, insbesondere behauptete er, der Taback mache witzig und gescheit zum Handel, wobei er nicht ermangelte, Beispiele aus seiner Heimat als Belege anzuführen.
Mehr als durch seine Kleidung unterscheidet der Reischdorfer sich durch seine Mundart von seinen weit umherwohnenden Landsleuten. Es liegt in der Betonung sowol als in der Bildung seiner Worte, nebem dem Ausdrucke der Verschmitztheit, eine eigenthümliche Schärfe, welche seinen witzigen Ausfällen eine ganz besondere, durch die Schriftsprache nicht wiederzugebende Würze verleiht. Melodisch ist sein Jargon freilich nicht; zum Gesange eignete er sich noch weit weniger, als irgend ein anderer Zweig der böhmisch- oder sächsisch-erzgebirgischen Mundart. Die scharfen Leute behaupten darin eine das Ohr tyrannisirende Herrschaft, so zwar, daß sie den vollen a-Laut ganz verdrängen, indem man statt dessen nur den Umlaut ä zu hören bekommt, mit Ausnahme derjenigen Fälle, wo ein dumpfes o die Stelle vertritt. Dabei stößt und preßt “Hannes” alle Laute dergestalt heraus, daß diese, wenn sie lebendige Wesen wären, mit seinen Gäulen sich über Ein Schicksal beklagen könnten.
Was den nicht handelstreibenden Theil der Bevölkerung Reischdorfs betrifft, d.i. Die Kinder, die verheiratheten Frauen – wiewol auch von diesen viele das Gewerbe der Männer treiben – und die Gebrechlichen, so beschäftigt sich derselbe in der nämlichen Weise wie der entsprechende Theil der übrigen Gebirgsbewohner: mit Spitzenklöppeln, Feld- und Viehwirthscahft und mit dem Eintragen des Feuerholzes für den Hausbedarf. Geht man durch Reischdorf, so fallen Einem, der mehr im böhmischen Erzgebirge verkehrt hat, zwei Erscheinungen angenehm auf: man findet die Wohnungen sauberer und besser in Stand gehalten als in benachbarten Dorfschaften und trifft keinen Bettler, gewiß eine in dieser Gegend seltene Erscheinung. Indessen haben sämmtliche Wohngebäude immerhin ein ärmliches Ansehen; alle sind sie zum größten Theile hölzern, mit Schindeln oder Stroh gedeckt und durchaus nicht so freundlich abgeputzt, wie dies in den sächsischen Dörfern – mit Aussahme der ganz verarmten – der Fall ist. Der “Hannes” ist aber eben zu wenig daheim, als daß er auf ein zierliches Aeußere seiner heimatlichen Behausung Bdacht nehmen sollte. “Wenn's nur ganz und fest ist”, denkt er in Bezug auf sein Haus wie auf sein Kleind, daher er auch das letztere weit weniger dem Einflusse der Mode unterwirft als seine Nachbarn. Übrigens bleibt ihm bei all seiner Regsamkeit wenig zum Luxus: da ihm die Grundlage wahren Wohlstandes hinreichender Ackerbau mangelt, so bleibt er wie die meiten Gebirgsbewohner Einer, der aus der hand in den Mund lebt, nur daß bei ihm vermöge seiner vorzüglichen Betriebsamkeit und der Art derselben, welche wenig Schwankungen unterworfen ist.Das, was in den Mund gehen soll, der Hand nicht so häusig ausgehet, wie es bei Andern der Fall ist, deren Erwerbsthätigkeit öfteren Stockungen unterliegt.
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Es hat wohl mancher Leser, der in der Annaberger Gegend zu Hause oder gereist ist, in einem der dort so dicht gedrängten Städtchen an irgend einer Markt- oder Straßenecke einen jungen Burschen in verschossener Sammet- oder Tuchjacke, noch verschossenern kurzen Lederhosen, langen Stiefeln und einem dieser Tracht entsprechenden, mächtigen runden Filzhute mit oder ohne Blumenstrauß, zur Seite einer mit Grünwaare oder Obst gefüllten hölzernen Bütte sitzen sehen, ja er hat ihm wol auch von seinen Radieschen, Kirschen, Birnen oder was nun gerade die Jahreszeit mit sich brachte, abgekauft und ist weiter gegangen, ohne daran zu denken, daß er es mit einem Repräsentanten des merkwürdigsten Völkchens im ganzen böhmischen Erzgebirge zu thun hatte. Denn der Bursche war ein Reischdorfer.